Lembeck – Schüchtern und mit Kopftuch trat Farzaneh Maleki aus Afghanistan 2016 zum Praktikum bei Friseurmeister Stefan Bohle an. 2022 ist die selbstbewusste Gesellin aus dem Team nicht mehr wegzudenken.
Friseurmeister Stefan Bohle und seine Gesellin Farzaneh Maleki vor dem Salon an der Wulfener Straße in Lembeck. Foto: Petra Berkenbusch
Als ihre Eltern 2015 beschlossen, die vom Krieg geschüttelte afghanische Heimat zu verlassen, war Farzaneh 18 Jahre alt. Gemeinsam mit Vater und Mutter übernahm sie auf der zweimonatigen Flucht die Verantwortung für ihre jüngeren Geschwister. Pakistan, Iran, Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Österreich – Farzaneh erinnert sich noch gut, dass die drei und vier Jahre alten Geschwister auf tagelangen Fußmärschen getragen werden mussten, dass es Unfälle und Verletzungen gab unterwegs.
Aber auch daran, dass die jüngeren Brüder und Schwestern nach ihrer Ankunft in Lembeck schnell Freunde gefunden haben, in der Schule bald schon mit der deutschen Sprache vertraut wurden. Farzaneh Maleki dagegen langweilte sich, die junge Erwachsene hatte außer einem Deutschkurs keine Möglichkeiten der Beschäftigung.
Flüchtlingshelfer pflegten eine herzliche Willkommenskultur
Eine Helferin der außerordentlich rührigen Lembecker Flüchtlingshilfe, die 2015 die Willkommenskultur im Dorf entscheidend geprägt hat, sah die Not der schüchternen jungen Frau und stellte sie bei Stefan Bohle vor. Der Friseurmeister an der Wulfener Straße ließ sich zu einem Praktikum überreden. Er erinnert sich: „Farzaneh war sehr, sehr schüchtern. Sie konnte auch noch nicht viel Deutsch, aber man hat schnell gemerkt, dass sie fleißig und aufmerksam war und Talent für den Beruf hat.“
Bei Kunden und Kolleginnen ist Friseurin Farzaneh gleichermaßen beliebt. Foto: Petra Berkenbusch
Dass das Praktikum der Beginn einer wunderbaren Arbeitsbeziehung markiert, führt Farzaneh auch auf das Verhalten ihres Chefs und der Kolleginnen zurück: „Sie sind mir mit dem allergrößten Respekt begegnet, haben zum Beispiel akzeptiert, dass ich ein Kopftuch trug. Niemand hat mir deshalb Druck gemacht.“ Die junge Frau hatte in der Heimat und im Familienkreis schon für Frisuren und kosmetische Dienstleistungen gesorgt. „Aber das war überhaupt kein Vergleich mit den Tätigkeiten hier in Deutschland“, erklärt sie. „da war doch vieles fremd.“
Chef entlohnte die fleißige Praktikantin mit Handwerkszeug
Stefan Bohle verlängerte ihr Praktikum über die zunächst vereinbarte Zeit hinaus, tat sich aber schwer mit der Tatsache, dass er die junge Frau nicht für ihre Arbeit bezahlen durfte. „Ich habe sie schließlich mit Naturalien, wie Handwerkszeug, entlohnt“, erzählt er. Derweil reifte bei beiden die Idee, aus dem Praktikum eine Ausbildung zu machen. Bohle: „Einem geduldeten Flüchtling erlaubte die Ausländerbehörde allerdings zunächst keine Festlegung auf eine dreijährige Ausbildung.“
Eine einjährige betriebliche Einstiegsqualifikation (EQJ) war zunächst die einzige Möglichkeit, die Stefan Bohle und sein Schützling ergreifen konnten. „Im Betrieb hat alles super geklappt“, blickt Stefan Bohle auf diese Zeit zurück, „aber in der Schule war es für Farzaneh vor allem wegen ihrer Sprachkenntnisse schwer.“ Aber sie kämpfte sich durch, lernte, auch im Salon ihre Hemmungen zu überwinden. Gewöhnte sich an den unbefangenen Umgang mit männlichen Kunden.
Nach dem erfolgreichen EQJ stand dann 2018 endlich einer regulären Ausbildung nur noch im Weg, dass Farzanehs Traumberuf eigentlich eher im medizinischen Bereich lag. Gemeinsam mit Stefan Bohles Frau, die als Krankenschwester arbeitet, checkte Farzaneh diese Alternative: „Aber die Pflegedienstleitung schätzte meine Chancen wegen der Sprache nicht so gut ein.“
Gesellenprüfung nach drei Jahren mit Bravour bestanden
Zur Freude ihres Chefs unterschrieb sie den Lehrvertrag und legte 2021 mit Bravour ihre Gesellenprüfung ab. Man weiß nicht, wer stolzer auf Abschlussnote von 1,5 ist – Farzaneh selbst oder ihr engagierter Chef. Die freundliche junge Frau, die inzwischen mit Zustimmung ihrer Eltern das Kopftuch abgelegt hat und Kundinnen mit ihren wundervollen dunklen Haare neidisch macht, hat nach der Abschlussprüfung einen unbefristeten Vertrag als Friseurgesellin bei Stefan Bohle bekommen und sich längst bei Kunden und im siebenköpfigen Team beliebt gemacht.
So sagt der Chef: „Farzaneh kann nicht gut stillsitzen, sie sucht ständig Arbeit und sieht sie auch. Sie hat sich inzwischen unentbehrlich gemacht und baut sich einen eigenen Kundenstamm auf.“ Gemeinsam loten die beiden gerade die Möglichkeiten aus, das Projekt Meisterprüfung anzugehen.
Auto und Führerschein waren in Afghanistan undenkbar
Einen lang gehegten Herzenswunsch konnte Farzaneh sich inzwischen erfüllen: „Ich habe schon in Afghanistan davon geträumt, selbst Auto zu fahren. Das wäre dort aber für mich als Frau nicht möglich gewesen.“ Jetzt hat sie als einzige in der Familie Auto und Führerschein, und ihre Dienste sind gefragt.
Sie lebt gemeinsam mit ihren Eltern und Geschwistern seit einiger Zeit in Wulfen. denn die Familie hat die alte Lembecker Feuerwache verlassen müssen. „Wir wären gerne gemeinsam in ein Haus gezogen“, sagt Farzaneh, „haben aber schließlich in Wulfen zwei Wohnungen gemietet.“ In einer lebt sie mit Geschwistern, „aber meist treffen wir uns zum Essen und Quatschen bei meinen Eltern.“ Der Umzug in ein Haus für alle wäre nach wie vor ein großer Wunsch der ganzen Familie, die in dieser Zeit voller Sorge die Nachrichten aus Afghanistan verfolgt und froh ist, dass die älteren Brüder mit den eigenen Familien inzwischen längst ebenfalls hier angekommen sind.
„In Afghanistan war es schon schlimm, als wir 2015 gegangen sind“, sagt Farzaneh, „aber mit den Taliban ist es im ganzen Land noch viel schlimmer geworden. Zum Glück sind wir hier.“
Mit freundlicher Genehmigung der Dorstener Zeitung – Petra Berkenbusch-Aust