Engelbert Lehnert (Der Waldmensch) * 26.12.1889 † 08.12.1964
„Bottram kriegen?“ – Engelbert Lehnert wuchs als Kind eines Tagelöhners auf einem kleinen Hof am Rande von Heiden auf. Als Kind erfuhr er zu Hause wie in der Schule viel mehr Tadel als Lob oder Anerkennung. Seine Wege wurden Wege des Alleingehens.
Nach Jahren als Knecht auf Bauernhöfen in Leblich, Marbeck, Endeln und Scholven verschwand er im Sommer 1917 zunächst spurlos. Er wollte „Ut de Papiern kommen“ aus Angst, noch in den Krieg ziehen zu müssen. Seitdem lebte er im und mit dem Wald.
Er erscheint immer mal wieder bei verschiedenen Bauern in unserer Umgebung und fragt: „Bottram kriegen?“ Den Bottram bekommt er und dazu auch immer mal wieder gebrauchte Kleidungsstücke, die er alle übereinander anzieht. So nannten ihn die Leute bald ‚Sewen-Boiser-Kerl‘, also den Mann mit sieben Jacken.
Engelbert schläft im Wald, irgendwo in einer kleinen, windgeschützten Lichtung und mit seinem ‚Sewen-Boiser- Anzug‘ ist er nahezu jedem Klima gewachsen. Nur wenn es ganz schlechtes Wetter gibt, nimmt er sein Nachtlager irgendwo im Stroh in einer Scheune oder am liebsten in einem Museschoppen.
Gelegentlich arbeitete er bei einem Bauern in unserer Gegend für eine warme Mahlzeit und eine Übernachtung im Stroh. In die Häuser ging er nie und nahm auch kein Geld für seine Arbeit. Obwohl er auf vielen Bauernhöfen gut bekannt war, blieb er menschenscheu und sprach so gut wie kein Wort. Nur bei der Maiandacht in der Waldkapelle Reken akzeptierte er die Gegenwart von anderen.
So überstand Engelbert auch die Zeit des zweiten Weltkrieges und treibt sich noch viele Jahre herum, findet auf Bauernhöfen gelegentlich Arbeit und sein Essen.
Im Februar 1956 schließlich veränderte sich Engelberts Leben drastisch. Er hat in der Frühe bei einem Bauern in Wessendorf schon den Futterkessel fürs Vieh angeheizt wobei sich seine sieben Jacken entzündeten. Die Bauersleute, die gerade von der Frühmesse nach Hause kommen finden ihn gerade noch rechtzeitig. Nach ein paar Tagen kommt er ins St. Michaelisstift, dem Lembecker Krankenhaus, allerdings in eine leerstehende Knechtkammer, wo er anderen Patienten nicht begegnen muss.
Auf dem Gutshof des St. Michaelisstifts arbeitete er nach seiner Genesung noch einige Jahre und kümmerte sich auch im Wald um die Fütterung der Tiere.
An einem Frühwintertag 1964 war Engelbert wieder auf dem Rückweg zum Gut als er von einem Auto angefahren und schwer verletzt wurde. Am 8. Dezember 1964 ging die außergewöhnliche Lebensgeschichte endgültig zu Ende.
Nach der Geschichte Engelbert Lehnert – „Der Waldmensch“. Eine ungewöhnliche Lebensgeschichte von Franz Hüls, Pfarrer i. R., neu aufgelegt von Volker Bauer, Pastor i.R.