Jüdische Familien in Lembeck

Im Schatten der Lembecker Kirche – Die jüdischen Familien in Lembeck

Juden begegnen uns vereinzelt in Westfalen ab dem 11. Jahrhundert; im 14. Jahrhundert gibt es Hinweise auf sesshaft gewordene Juden z.B. in Borken, Coesfeld oder Recklinghausen. Nach der Niederwerfung der Wiedertäufer in Münster wurden 1554 die Juden vertrieben und per Landtagsbeschluss wird Juden der Aufenthalt im Land verboten. Nicht alle hielten sich an diesen Ständebeschluss. 1581wurde im Landtag über die Frage beraten, wie man gegen die vorgehen solle, die Juden vergleiteten. Hier wurde auch Bernhard von Westerholt, Herr von Lembeck, aufgeführt.

Ritter Goswin von Raesfeld gewährte dem jüdischen Ehepaar Joest und Anna 1575 Schutz und gab ihnen Wohnrecht an der Pforte zu Raesfeld. Das Ehepaar konnte sich aber in der Herrlichkeit Lembeck nicht frei bewegen und Handel treiben und wechselte zum Schutzherrn Bernhard von Westerholt, Herr zu Lembeck.  Das wollte Goswin von Raesfeld nicht hinnehmen und setzte das Ehepaar auf Haus Raesfeld fest. Der Herr zu Lembeck ließ daraufhin zwei Diener des Raesfelders festnehmen. Ein sehr langer Streit entbrannte, wobei die münsterische Regierung und der Landesherr von Kleve eingeschaltet wurden.

Im Jüdischen Museum Westfalen finden wir ein Dokument über zwei jüdische Kaufleute Jacob Kaufmann und Leser Judd aus Wesel, die 1602 in Gefangenschaft des Herrn von Lembeck gerieten. Der Schlossherr verlangte von beiden Zoll für die Durchreise; zu Unrecht, denn der Landesherr, der Fürstbischof von Münster gewährte in seinem Gebiet allen Juden freies Geleit. Während ihrer mehrmonatigen Geiselhaft auf dem Schloss hielten die Gefangenen mit geschmuggelten Briefen, sogenannten Kassibern, Kontakt zu ihren Familien.

Juden
Original Jüdisches Museum Westfalen in Dorsten (Klick zum Vergrößern)

Es gibt weitere vereinzelte Hinweise auf Juden, aber „ohne Grundbesitz, ohne Bürgerrechte, meist nur kurzfristig geduldet, Ausbeutungs- und Streitobjekte zwischen Kaiser, Fürsten und Städten, von den Zünften gefürchtet und gehasst, von kirchlicher Seite mit höchstem Misstrauen betrachtet, lebten die Juden
nahezu ausschließlich von der ebenso risikoreichen wie verachteten Geldleihe“. Erst mit dem Ende des 18. Jahrhunderts, mit den Auswirkungen der Französischen Revolution auf Westfalen, kam es kurzfristig, und dann mit dem Beginn der Emanzipation der preußischen Ära ab 1811 zur zunehmenden rechtlichen Gleichstellung für die Juden.

„Juden, welche sich hier niederlassen und Handel treiben wollten, mussten für ihre Sicherheit ein Geleitsgeld in die Renteikasse zahlen. Es betrug 2 Reichsthaler 50 Stüber im Jahre 1801.“ Und gerade in dieser Zeit wurde der Name Lebenstein oder zunächst Loewenstein geschrieben zum ersten Mal in Lembeck erwähnt. Es ist Mendel Lebenstein, geboren 1769 in Groß-Reken, gestorben 1863 in Lembeck im hohen Alter an Altersschwäche. Ein weiterer Jude, Bendix Landau, zog ca. 1830 von Gemen nach Lembeck. Beide Familien siedelten sich direkt in der Dorfmitte an, Dorf 15 und Dorf 13.

Ein friedfertiges Nebeneinander von Christen und Juden war über viele Jahrzehnte in Lembeck möglich. In der Chronik der Herrlichkeit Lembeck wird 1820 zur Einwohnerstatistik Lembeck ausgeführt: 1.805 römisch-katholische Christen, 1 evangelischen Christen und 7 Juden. 20 Jahre später, 1840, ist die Einwohnerzahl auf 2.082 Personen angestiegen, davon 20 Juden. Die Juden lebten durchweg vom Handel, vom Ackerland und Schlachten. Sie handelten mit Vieh, Fellen, Häuten und anderen bäuerlichen Erzeugnissen wie Getreide, Wolle, Honig und Kurzwaren.  Nur als „einziger Alexander Lebenstein in Lembeck arbeitet als Strumpfweber, ernährt sich brav und gibt seinen Glaubensbrüdern ein gutes Beispiel“. Der Amtmann Brunn vermerkt 1853, dass die verschiedenen Juden in den Ämtern Lembeck und Altschermbeck unbescholtenen Rufs sind und sich mit Ausnahme von Mendel Lebenstein, welcher bei seinem Sohn lebt, sich selbständig ernähren.

Mendel Lebenstein war mit Sara Nathan verheiratet und hatte fünf Söhne: Salomon, Nathan, Isaac, Philipp und Jacob. Von diesen Kindern wissen wir, dass Salomon Lebenstein 1832 Therese Poppert aus Groß-Reken heiratete. Salomon war Strumpfweber, und der älteste Sohn Alexander wirkte weiterhin in diesem Gewerbe. Über Philipp Lebenstein, geboren 1812 in Lembeck, erfahren wir 1866 folgendes: Handelsmann, 53 Jahre, Lembeck, Israelit, 5 Fuß 2 Zoll, Zähne: mangelhaft, Statur: schlank, Gesichtsfarbe: blaß, die Kleidung: blauleinen Kittel, rothes Halstuch mit gelben Blümchen, 1 graue Weste, dunkelblaue Hose, braune Unterjacke, leines Hemd, 1 Paar Pantoffeln“. Interessant ist hieran, dass die alte Tracht der Münsterländer Bauern und Händler im Umfeld exakt so beschrieben wird. Ein weiterer Sohn Jacob Lebenstein, geboren 1816 in Lembeck, heiratete 1851 Helene Herzog aus Neersen bei Düsseldorf. Beide hatten drei Kinder. Isaac Lebenstein heiratete Clara Funkenberg aus Erwitte. Sie hatten eine Tochter Sara, die 1868 Joseph Rosenbaum aus Raesfeld heiratete.

Der zweitälteste Sohn Nathan Lebenstein blieb in Lembeck sesshaft, kaufte 1850 zwei Grundstücke mit Haus, Garten, Weide für 320 Thaler von Albert Holtrichter und Joseph Lohkamp. Das Haus Lembeck 15 wurde 1902 an Holtrichter veräußert. Sohn Isaak Lebenstein erwarb 1890 den Hofraum, ein Grundstück von 1.175 qm von den Geschwistern Schäpers und errichtet dort 1902 einen Neubau, später Lembeck 16, Gemarkung Lembeck, Flur 11. Ein ehemaliger Nachbar, Josef Langenhorst, hat folgende Erinnerungen an das Haus: „Jeden Tag war ich bei Nathans, so der umgangssprachliche Begriff für die Familie Lebenstein. Vor dem Haus gab es einen Birnenbaum, der sehr leckere Früchte hatte. Zum Eingang des Hauses musste man ein bisschen runtergehen. Zuerst betrat man einen sehr großen Raum, wo im hinteren Bereich eine schön geschwungene Treppe nach oben ging. Oben lief eine Balustrade um, von wo man die einzelnen Räume oben – mindestens 3 – erreichte und runter sehen konnte. Unten im Eingangsbereich war rechts ein riesiger Schrank, der sehr schön anzusehen war. Vor der Treppe stand ein 7armiger Leuchter. Alles blitzte immer. Nach hinten ging es in den Stall, wo mehrere Boxen für Pferde und Kühe waren.“

Nathan Lebenstein, die zweite Generation Lebenstein in Lembeck, heiratete zunächst Nette Spier aus Gescher, die 1838 früh verstarb. Am 15. Mai 1839 ehelichte er Regina Salomon aus Werne. Von den acht Kindern des Nathan Lebensteins blieb Isaac Lebenstein in Lembeck. Er wurde am 10. Juli 1847 in Lembeck geboren und starb am 3. September 1918 ebenfalls in Lembeck. Viele Lembecker begleiteten seinen Trauerzug laut mündlicher Überlieferung. Auf seinem Wandergewerbeschein von 1908 wird er so beschrieben: „Kleine Gestalt, braune Augen, dunkles Haar und Vollbart. Er handelte mit Manufakturwaren einschließlich Kurzwaren, mit Vieh, mit Fellen und Honig. Unbedeutender Betrieb, schlechte Vermögensverhältnisse; der Gewerbebetrieb erstreckt sich nur auf die nächste Umgebung, da er kein Transportmittel besaß.

Isaac Lebenstein
Sara Sophie Lebenstein

Isaac heiratete in erster Ehe Helene Stern. Diese starb bei der Geburt der Tochter Regina Helene Lebenstein. In zweiter Ehe war er mit Sara Sophie Elkan aus Raesfeld verheiratet. Sie bekamen 7 Kinder: Rosalie, Amalie, Moritz, Selma, Bertha, Paula und Hugo.

Bendix Landau (geb in Gemen, gest.  1880 in Lembeck) heiratete am 24. Januar 1831 Billa Fuldauer aus Dinxperlo/Niederlande. Getraut wurden sie vom Rabbiner Herz Lehmann aus Haltern, die Heiratsurkunde wurde durch den Amtmann Brunn in Wulfen besiegelt.  Im gleichen Jahr im November 1831 wird das erste Kind Liefmann Landau in Lembeck geboren. 1833 folgte Sohn Asher, 1836 Tochter Schesse, 1838 Tochter Theresa und 1841 Sohn Meier.  Billa Landau stirbt am 22. Juli 1862 im Alter von 56 Jahren am „Schlagfluß“.

Bendix Landau bezeichnete sich in allen amtlichen Dokumenten als Handelsmann. Außerdem wurde er mit Isaac Lebenstein als Metzger in Lembeck geführt. Sie waren zur damaligen Zeit die einzigen Metzger in der Gemeinde.

1849 erwarb Bendix Landau zwei Grundstücke in Lembeck. Zum einen in der Dorfmitte direkt an der Kirche eine Parzelle mit Hofraum und zum anderen einen Garten, genannt Oldengarten; beide Parzellen von Johann Schriever zu Lembeck.  Laut Katastereintragung erhielt das Dorfgrundstück 1867 die Bezeichnung Haus Lembeck 13 und später Dorf 13 (Bahnhofstraße).  1881 erfolgte die Umschreibung auf seinen Sohn As(h)er Landau.  1887 wurde das Grundstück an Bernhard Kipp verkauft. Der Garten wurde 1887 an Wilhelm Bahde veräußert.

Familie Lebenstein in Lembeck, v. l. Regina, Paula, Amalie, Sophie, Rosalie, Hugo, Moritz, Isaac, Selma und Bertha

Sohn Asher Landau blieb in Lembeck wohnhaft und heiratete 1854 Wilhemina (Mina) Humberg aus Klein-Reken. 4 Kinder wurden in Lembeck geboren: 1865 Leffmann Landau (er stirbt mit 5 Monaten im Januar 1866 an Schwindsucht und ist auf dem jüdischen Friedhof in Lembeck begraben), 1867 Sophia Landau, 1869 Hanne Landau und 1872 Abraham Landau.

Asher Landau starb am 1. August 1886 in Wulfen. Seine Ehefrau Wilhemina verkaufte 1887 Haus und Garten und zog mit der Familie nach Gronau zu Verwandten, wo sie 1910 verstarb.

Die Landaus und Lebensteins gehörten zur Synagogengemeinde Dorsten. Im Oktober 1858 wurden Bendix Landau, Isaac Lebenstein, Jacob Lebenstein, Philipp Lebenstein und Nathan Lebenstein aus Lembeck zu Repräsentanten der Synagogengemeinde Dorsten gewählt. Lebensteins unterzeichneten jeweils mit 3xxx, da sie nicht schreiben konnten.

1861 wurde Nathan Lebenstein zum stellvertretenden Mitglied gewählt. Er lehnte diese Wahl mit der Begründung ab, dass ihm der 2 1/2stündige Fußweg von seinem Wohnsitz bis nach Dorsten zu weit sei. Sein Sohn Isaac, auch in den Synagogenvorstand gewählt, musste aus dem Amt aber gleich wieder ausscheiden, weil er mit der Entrichtung der Abgaben stets im Rückstand geblieben war. 1882 weigerte sich Isaac Lebenstein als gewähltes Vorstands-mitglied der Synagogengemeinde Dorsten zu fungieren. Er beantragte die Ausscheidung aus dem Synagogenverband Dorsten und Überweisung zum Synagogenverband Groß-Reken. Im Schreiben des Landrats vom 22. Juni 1882 heißt es “…welcher sich weigert als gewähltes Vorstandsmitglied der hiesigen Synagogengemeinde verpflichtet zu werden, zu ergreifende Zwangsmaßnahmen noch kein Beschluss gefasst ist…“  In einem gemeinsamen Schreiben von Landau und Lebenstein im Juni 1882 an die Königliche Regierung begründen sie ihre Verweigerung wiederum mit dem langen Fußweg. Die Königliche Regierung, Abteilung des Innern, antwortete, dass die vorgebrachten Gründe nicht als stichhaltig angesehen werden können und „bei einigermaßen guten Willen sind die dortigen Israeliten, namentlich bei der zwischen Wulfen/Lembeck und
Dorsten bestehenden Bahnverbindung wohl im Stande, an dem Religionsunterricht in Dorsten theil zu nehmen.“ 1903 weigerte sich Isaac Lebenstein wiederum seiner Pflicht nachzukommen. Er führte die üblichen Verweigerungsgründen des weiten Weges an, ergänzte aber, dass seine Vermögensverhältnisse es ihm nicht gestatteten, den Religionslehrer und die Unterbringung der Kinder in Dorsten zu bezahlen. Der Landrat in Recklinghausen antwortete: „Der Handelsmann Isaak Lebenstein in Lembeck kann unter den obwaltenden Umständen nicht gezwungen werden, seine Kinder zum Religionsunterricht nach Dorsten zu schicken. … Es muß daher Lebenstein überlassen bleiben, für die religiöse Erziehung seiner Kinder selbst zu sorgen.“

Nach der Einführung der Schulpflicht in Preußen besuchten die jüdischen Kinder die christliche Volksschule in Lembeck, für die Unterweisung in die jüdische Religion mussten die Kinder sonntags nach Dorsten zur Synagoge.

Die jüdischen Familien waren eine kleine Minderheit mitten im Dorf Lembeck – und doch waren sie integrierter Bestandteil des Gemeindelebens.  Schon am 22. Dezember 1839 in einem Publicandum zu Lembeck – es geht um die Bestimmungen, was bei Auftreten von Feuersbrünsten zu beachten ist – heißt es zum Schluss: Für die Bedienung der Spritze stellen sich unter vielen anderen Lembeckern auch Bendix Landau und Nathan Lebenstein zur Verfügung.

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Nach überlieferten Erzählungen schmückte die Familie Lebenstein immer die Straße bei kirchlichen Anlässen, z.B. beim Besuch des Bischofs. Die Mitglieder
waren aktiv im Heimatbund, im Schützenverein, in der Feuerwehr und auch im Sängerkreis Frohsinn.

Moritz Lebenstein, Gesang-Verein „Frohsinn“ Lembeck

Nach dem Tod von Isaac Lebenstein 1918 wird Sophie Lebenstein der Mittelpunkt der Familie. Mit Hilfe ihrer Kinder führte sie das Manufakturgeschäft
weiter. Auch wurde der Viehhandel durch die Söhne Moritz und Hugo intensiviert und der Neubau eines Schlachthauses in den 1930er Jahre skizziert. Die Enkelkinder aus Dülmen und Essen verbrachten viele Jahre in Lembeck und sind dort zur Schule gegangen. Rudy Katz, Sohn von Rosalie Lebenstein, erinnerte sich im Juni 1985: „Ich verbrachte viele Ferien Sommer und Winter in Lembeck und kann mich noch auf viele Familien entsinnen. Ich war sehr befreundet mit Familie Holtrichter und deren Kindern – die Nachbarn waren. Ich bin nicht in Lembeck zur Schule gegangen, sondern mein jüngerer Bruder Karl-Heinz Katz. Er wohnte für einige Jahre mit meiner Oma in Lembeck.“

v.l. Anna Droste, Willi Hortmann, Agnes Hortmann, Gerhard Hortmann, Karl-Heinz Katz, Katharina Hortmann, Oma Hortmann

Aber auch ein anderer Enkel, Bernard Bendix aus Dülmen, geboren 1917, schrieb folgendes: „1919 sind meine Eltern zu Besuch nach Lembeck gefahren. Die Großmutter Sophie wollte mich für ein paar Tage länger dort haben. Mein Vater wurde krank und ist 1921 gestorben. Von den paar Tagen wurden ein paar Jahre. Als ich dann 6 Jahre alt war ging ich in Lembeck zur Schule. Bis zur 4ten Klasse in die Volksschule, doch musste ich wieder nach Dülmen zur Mutter zurück. Hatte ich doch immer Heimweh nach der Oma in Lembeck. Dann durfte ich während meiner Schulferien dahinfahren“

18.5.1937 Abholung des Bischofs, rechts hinten das geschmückte Haus der Familie Lebenstein

Schulklasse Lembeck 1924 mit Lehrerin Elisabeth Deelmann, rechts hinter der Lehrerin Bernard Bendix (Klick zum Vergrößern)

Das tolerante Miteinander in Lembeck fand mit Beginn der Nazi-Zeit ein Ende. Hitlerjungen schlugen Fensterscheiben ein, Jauche wurde durchs Fenster gekippt; die jüdischen Lembecker wurden gemieden. Um zu überleben, verkauften die Lebensteins einen Großteil ihres Wohnungsinventars. Sophie klagte ihrer Nachbarin: „Was haben wir den Lembeckern getan, dass sie so mit uns umgehen?“

Sophie Lebenstein wurde am 24. Januar 1942 mit ihren Töchtern Selma und Bertha aus dem Haus in Lembeck geholt, auf einen Lastwagen verladen und zu einer Sammelstelle nach Gelsenkirchen gebracht. Sophie konnte vom Schwiegersohn Franz Stutzinger zu Verwandten nach Raesfeld, Familie Elkan/Scheid, gebracht werden. Schon im Mai 1942 verstarb sie und wurde auf dem Jüdischen Friedhof Raesfeld begraben.

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Selma und Bertha wurden nach Riga deportiert und starben beide im Dezember 1944 im Konzentrationslager Stutthoff.  Ihr Bruder Moritz Lebenstein, seine Frau Antonia Wolff mit den drei Kindern Werner (7 Jahre), Kurt (11 Jahre), und Sonja (13 Jahre) wurden im Konzentrationslager Auschwitz ermordet.  Hugo Lebenstein flüchtete 1940 in die Niederlande, wurde dort gefangen genommen und über das Lager Westerbork nach Auschwitz deportiert, wo er 1942 verstarb.

Rosalie Lebenstein verheiratet mit Leopold Katz und drei Söhnen Rudy, Karl-Heinz und Manfred wohnten in Essen. Karl-Heinz Katz lebte von 1932 bis 1938 bei seiner Großmutter in Lembeck. Mit Schulfreunden tauschte er Matzen gegen Schinkenbrote. Weil er so schöne braune Locken hatte, durfte er beim Lembecker Krippenspiel das Jesuskind darstellen. Rudy Katz gelang 1939 zunächst die Emigration nach Belgien, später in die USA. Die anderen vier Familienmitglieder wurden Ende 1940 nach Minsk deportiert und sind dort ermordet worden.

v. l. Rosalie, Manfred, Karl-Heinz und Rudy Katz (Klick zum Vergrößern)

Die Älteste, Regina Helene Bendix, wohnte mit den drei Kindern Frederike, Bernard und Walter in Dülmen.

v.l. Bernard, Regina, Walter, Frederike Bendix (Klick zum Vergrößern)

Den Kindern Bernard und Walter Bendix gelang 1936 mit Hilfe von Kölner Verwandten mit dem Schiff „Stuttgart“ die Flucht nach Südafrika. Sie hatten kein Geld und mussten als junge Menschen in Kapstadt allein zurechtkommen. Kinder und Enkelkinder leben heute in Südafrika und Kanada. 2015 war Sohn Mark Bendix aus Kanada auf Spurensuche seiner Familie auch in Lembeck. Sein Vater hatte ihm oft Geschichten aus der Lembecker Zeit erzählt.  Vergissmeinnicht, Marienblümchen und Stiefmütterchen aus Lembeck getrocknet und aufgeklebt werden noch immer in der Familie aufbewahrt.

Yvonne und Bernard Bendix aus Südafrika am 04.01.1966 an der Dorfpumpe in Lembeck (Klick zum Vergrößern)

Frederike ging 1934 nach Amsterdam und arbeitete als Hausmädchen. „Leicht habe ich es so wie so nicht. Immer für andere Leute den Dreck wegmachen, ist auch kein Vergnügen.“ Und weiter heißt es: „Von Mama hatte ich fünf Wochen keine Post. Ich hatte mir schon die größten Sorgen gemacht. …Der letzte Brief von Mama war ganz vergnügt, wenn es nur kein Galgenhumor war. Schrecklich
das man gar nichts für sie tun kann. Wisst ihr denn gar keinen Ausweg.”  Regina versuchte alles, um für sich und ihre Tochter Papiere für eine Ausreise nach Südafrika zu erlangen. Auch ein Lembecker Schulzeugnis sollte laut Entnazifizierungsakten Lehrer Storck dazu beitragen.

Regina und Frederike Bendix haben die Ausreise nicht mehr geschafft. Sie wurden von den Niederlanden aus deportiert und sind beide in Konzentrationslagern ermordet worden.

Von der Familie Lebenstein überlebten fünf Personen: Amalie Stutzinger in Düsseldorf, Paula Braude und Rudy Katz in den USA sowie Bernard und Walter Bendix in Südafrika. Sie bildeten 1946 eine Erbengemeinschaft, die 1950 in einem Wiedergutmachungsverfahren das Wohngrundstück, den Garten und auch den Friedhof in Lembeck zurückerstattet bekamen. Da keiner von den Überlebenden mehr nach Lembeck zurückkehrte, verkauften sie die Grundstücke.

Drei kleine Stolpersteine in der Dorfmitte erinnern an die ermordeten Mitglieder der Familie. Eine weitere Erinnerung an die Familie Lebenstein wurde mit einer neuen Straße 2007 geschaffen:  Lebensteinring.

Und auch der jüdische Friedhof in Lembeck am Kaiserweg zeugt von der Anwesenheit von Juden in Lembeck. „Getragen von dem Glauben an die Auferstehung nennen Juden ihre Friedhöfe: Haus der Ewigkeit oder Haus des Lebens oder eben: Der gute Ort. Die Bezeichnung ewiges Haus ist hierbei wörtlich zu verstehen, denn die Toten sollen in ihren Gräbern bis zum Tag der Auferstehung in Ruhe verbleiben. In Lembeck gibt es keinen einzigen Grabstein mehr, nur noch eine kleine Umrandung. 1863 wurde er von den Familien Landau und Lebenstein gekauft. 1939 wird er von der Landeskulturabteilung des Oberpräsidenten zu Münster beschlagnahmt mit dem Hinweis, dass er zur Neubildung Deutschen Bauerntums verwertet wird.  1948 ist der Friedhof Gegenstand der Wiedergutmachungsverhandlungen, seit 1940 im Eigentum der Gemeinde Lembeck, dann der Stadt Dorsten.

Elisabeth Cosanne-Schulte-Huxel
Stand: August 2016

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