Walter Lüttringhaus – Schwere Bluttat 1933 in Lembeck

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Lüttringhaus
Der zusätzlich angebrachte Text. Foto: Friedrich Cosanne

Ungefähr einen Kilometer nördlich des Ortskernes von Lembeck findet man in der Gabelung der Rekener Straße und des Große-Vorholt-Weges (im Sommer oftmals versteckt hinter Gebüsch) in einem kleinen und von Straßengräben eingesäumten Eichenwäldchen einen Gedenkstein, der an das Opfer einer grausigen Bluttat erinnert.

Was hatte sich hier ereignet?

Am Morgen des 31. März 1933 bemerkte der Oberlandjäger (überörtlicher Polizeibeamter) Walter Lüttringhaus, der mit dem Fahrrad auf einer Streifenfahrt war, im Gebüsch ein verdächtiges Auto in dem zwei Personen saßen. Lüttringhaus vermutete zunächst, Schmuggler vor sich zu haben, die ihre Waren in dem Gebüsch verstecken wollten. ln der damaligen Zeit war das häufiger der Fall.

Die beiden Wageninsassen händigten ihm anstandslos ihre Ausweispapiere aus. Als der Polizist mit einer Leibesvisitation die Taschen des Beifahrers überprüfen wollte, setzte der ihm plötzlich eine O8-Pistole auf die Brust. Notgedrungen gab der Polizist die Ausweispapiere zurück, schwang sich auf sein Fahrrad und fuhr etwa 15 Schritte weiter. Der Polizist hatte in dem Auto eine große Menge Waren gesichtet und hielt es für seine Pflicht, nach dem Rechten zu sehen. Er sprang vom Fahrrad und zog seine Pistole. Er hatte nicht bemerkt, dass der Verbrecher ihm gefolgt war.

ln dem nun entstehenden Feuergefecht wurde der Verbrecher in den linken Oberarm getroffen. Dieser aber konnte einen weiteren Schuss abgeben, der den Polizisten in den Kopf traf. Schwer getroffen flüchtete der Polizist bis er an einem Wegedurchlass zusammenbrach.

Die beiden Verbrecher fuhren mit „schärfstem Tempo“ in ihrem Auto, einem sechssitzigen „Protos“ – Wagen in Richtung Wulfen.

Der Lembecker Gemeindevorsteher Cosanne benachrichtigte umgehend das Amt zu Wulfen und sämtliche Polizeistationen im Umkreis. Der an den Blutspuren leicht zu erkennende Fluchtwagen konnte nach zweimaligem Zusammenstoß mit dem Wagen der Amtsverwaltung Hervest-Dorsten in Höhe der Rosebrauerei (Hervester Straße) gestoppt werden.

Die beiden aus dem Amtsauto springenden Polizisten lnhester und Gaer nahmen die Verbrecher fest. Das Amtsauto fuhr Chauffeur Wensing. Die beiden Verbrecher wurden nach einer ersten Vernehmung in Wulfen dem Untersuchungsrichter des Amtsgerichtes Dorsten zugeführt. Zynisch gab der 22jährige Schütze, ein ehemaliger Fürsorgezögling und nach den Vorstrafen ein „Einbrecher von Format“, zu Protokoll: „Wenn ich eine Pistole habe, dann schieße ich auch. Der Oberlandjäger war so frech, dass ich mir dieses Verhalten nicht gefallen lassen konnte.“

Der zweite Festgenommene, 28 Jahre alt, gab an, dass er als Besitzer einer Autotaxe lediglich Fahrten im Auftrage des Schützen durchgeführt habe. Beide stammten aus Herne-Sodingen und da sie angaben, zuletzt in Mainz, Wiesbaden und Saarbrücken gewesen zu sein, vermutete man, dass sie als reisende Einbrecher unterwegs waren. Beide wurden im Landgerichtsgefängnis Essen inhaftiert.

lm Auto der beiden Festgenommenen fand man neuwertige Reisekoffer, Damen- und Herrentextilien, Rauchwaren, verschiedene alkoholische Getränke, Schokolade, unterschiedliche „Maggi“-Produkte und ein Radio. Da neben diesen nicht unerheblichen Warenmengen auch noch

Einbruchwerkzeuge im Auto gefunden wurden, konnte es sich nach Ansicht der Polizei nur um Diebesgut handeln. Erste Hilfe leistete dem schwerverletzten Polizisten Walter Lüttringhaus der Landarzt Dr. Vogt aus Lembeck, der dann den Beamten in das Michaelis-Hospital einwies.

Die Verletzungen waren so schwer, dass der 38jährige Polizist daran am 2. April 1933 verstarb. Walter Lüttringhaus hinterließ seine Ehefrau, eine Tochter des Försters Homeyer aus Deuten und ein minderjähriges Kind. Vom Michaelis Hospital Lembeck aus überführte man in einem langen Trauermarsch den Leichnam zum Friedhof nach Wulfen. „Zwei berittene Landjäger eröffneten den Zug. Es folgten eine Abteilung Landjäger, dann Hilfspolizei, die kommunale Polizei von Dorsten und der Herrlichkeit, Zollbeamte und Förster und eine starke Abteilung uniformierter Nationalsozialisten mit zwei umflorten Hakenkreuzfahnen, die Standarte des Kavallerievereins Dorsten und Umgegend, die Lembecker Feuerwehr und schließlich wieder eine Eskorte Landjäger mit Karabinern.

Der Leichenwagen, dessen Pferde in Schwarz verhangen waren, wurde flankiert von Landjägern. Hinter dem Leichenwagen schritten die Trauernden, dann Landrat Matthaei, Assessor Pahlke, Graf von Merveldt, Bürgermeister Dr. Lürken, zwei Schupooffiziere (Schutzpolizei), die Vorsteher der Herrlichkeit und viele, viele andere, die im Herzen um den toten Landjäger trauerten. Ernste Trauerweisen spielte die Schutzpolizeikapelle Recklinghausen, die noch vor dem Leichenwagen schritt.“

An der Wienbecke reihten sich neben weiteren Trauergästen auch die Feuerwehr Wulfen, eine Abordnung der Feuerwehr Dorsten und der Verein ehemaliger Jäger und Schützen in den Trauerzug ein. Am Grab sang der evangelische Kirchenchor Hervest-Dorsten unter der Leitung von Lehrer Wortmann. Die Einsegnung und Grabrede hielt der evangelische Pfarrer Mayweg aus Hervest-Dorsten. „Dann krachten dreimal die Salven der Landjägereskorte.“ Nach weiteren Trauerreden spielte dann zum Schluss die Polizeikapelle das Lied vom guten Kameraden.

Zum Nachdenken sei hier noch eine Passage aus der Erinnerungsrede des Bürgermeisters Dr. Lürken wiedergegeben, die er in der Gemeinderatssitzung am 8. April 1933 hielt:  Sein Tod habe seinen Diensteid bekräftigt. Man müsse den Beamten um einen solchen Tod gewissermaßen beneiden.“

Zum 1. Jahrestag der Mordtat enthüllte der Landrat Dr. Bieth nahe der Mordstelle am Karsamstag, dem 31. März 1934 einen von der Gemeinde Lembeck und der Gendarmerie (frühere Landjäger) errichteten Gedenkstein mit der Inschrift:

„Gott mit uns! Hier fiel durch Mörderhand am 31. März 1933 der Oberlandjäger Walter Lüttringhaus in Ausübung seines Berufes“.

An der als schlicht geschilderten Enthüllungsfeier nahmen neben Vertretern der Familie Lüttringhaus teil: der Regierungspräsident, der Landrat Dr. Bieth, der stellvertretende Kreisleiter der NSDAP Plagemann, der Bürgermeister des Amtes Hervest-Dorsten Dr. Gronover, die Gemeindevorsteher Düssel aus Altschermbeck und Schenuit aus Lembeck, Beigeordneter Köster, Reichsgraf von Merveldt, der Kriegerverein, die Feuerwehr, SA-Formationen mit 20 Sturmfahnen und je einem Standarten- und Sturmbannführer, Gendarmerie der Kreise Recklinghausen und Ahaus, der Gendarmeriehauptmann Carsten, der Führer des Reichsbundes der Polizeibeamten Achterberg, der Oberlandiägermeister i.R. van Wasen, Landjägermeister i.R. Krüger (der ehemalige Lehrer des W. Lüttringhaus) und der Polizeikommissar Schulz von der kommunalen Polizei.

Der Lembecker „Musikverein Harmonie unter der Stabführung Wolthaus“ eröffnete die Feier mit dem Niederländischen Dankgebet. Zur Enthüllung spielte der Musikverein das Lied vom guten Kameraden und zum Abschluss das Horst- Wessel- und Deutschlandlied. Der MGV Frohsinn sang die Lieder Morgenrot und Deutschland, Dir mein Vaterland. Der Landrat Dr. Bieth enthüllte den Gedenkstein und übergab ihn der Gemeinde Lembeck in treue Obhut. Der Lembecker Gemeindevorsteher erklärte es als Ehren- und Dankespflicht, getreuer Hüter des Ehrenmals zu sein.

Der Gendarmeriehauptmann Carsten gedachte in seiner Ansprache auch der 112 Polizisten, die durch Mörderhand und weiterer 62 Kameraden, die durch Unfälle im Dienst in den Jahren 1919 bis 1933 zu Tode gekommen sind.

lm Jahre 2018, nunmehr 85 Jahre nach dieser Bluttat an einem Polizisten, sollte uns dieser Gedenkstein auch an die Polizisten erinnern, die in Ausübung ihres Dienstes in jüngst vergangener Zeit, ja selbst in unserer näheren Umgebung, ihr Leben verloren.

Vor dem Schwurgericht Essen fand im September 1933 die Hauptverhandlung statt. Der Staatsanwalt plädierte gegen den 23jährigen vorbestraften Todesschützen auf Mord und beantragte die Todesstrafe, für die übrigen Straftaten acht Jahre Zuchthaus und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebenszeit. Der 28jährige Komplize sollte zu vier Jahren und sechs Monaten Zuchthaus und fünf Jahren Ehrenverlust verurteilt werden.

Das Gericht folgte in seinem Urteil den Ausführungen des Verteidigers, der in der Tat des Schützen eine Affekthandlung sah. Ein Mord war ihm nicht nachzuweisen. Der Täter beteuerte, dass er den Polizisten nicht erschießen wollte. Nicht geklärt wurde, wer den ersten Schuss abgab. Auch die fünf Lembecker Zeugen (Knipp, Hahne, Dahlhaus, Franz und Bernhard Hortmann), die sich zur Tatzeit in der Umgebung des Tatortes aufhielten, konnten dazu keine Angaben machen.

Der Todesschütze wurde wegen schweren Totschlags zu lebenslänglichem Zuchthaus und lebenslänglicher Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt, für die übrigen Straftaten zu fünf Jahren Ehrenverlust. Sein nicht vorbestrafter Komplize erhielt wegen Begünstigung drei Jahre Gefängnis.

Elferrat
Der Elferrat bei der Denkmalpflege von links: Johannes Heidermann, Bernhard Mast, Alfons Risthaus, Bernhard Sender und Willy Bahde. Foto: Friedrich Cosanne

 

 

Quelle / Text: Manfred Steiger (Heimatkalender 2003 / S. 120)

Quellen: Stadtarchiv Dorsten: Auszüge aus der Dorstener Volkszeitung 1933 und 1934

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