Alte Sitten und Bräuche

[responsivevoice_button rate=”1″ pitch=”1.2″ volume=”0.8″ voice=”Deutsch Male” buttontext=”Vorlesen”]Bei uns in Lembeck waren die Bewohner auf gegenseitige Hilfe angewiesen. So entstanden die Nachbarschaften. Man sagte in Lembeck: “Ein guter Nachbar ist besser als ein weiter Freund”. Jede Familie hatte den 1. Nachbarn, das war der Notnachbar und sechs weitere Nachbarn. Dazu kam die erweiterte Nachbarschaft. Das war dann meist eine Bauerschaft oder ein Teil des Dorfes. Bevor die Ernte eingefahren wurde, feierten die einzelnen Ortsteile ihr Nachbarfest. Fehlen durfte keiner. Auf dem Nachbarfest wurden auch die Satzungen bekanntgegeben. Ein neuer Nachbar oder Neuvermählte, mussten einen Einstand geben. Das Schmücken der Deele und hinterher das Abräumen, besorgten die jungen Leute, die dann daraus noch ihr eigenes Fest machten. Bei der Hochzeit, Kindtaufe und Beerdigung begannen die Aufgaben des Notnachbarn und der Nachbarn. Mit dem Notnachbarn besprach man die Hochzeit. Der Gästebitter war auch zugegen. Er musste zur Hochzeit einladen. Dabei hatte er einen besonderen Spruch:

“Godden Dag int Quartier
Et is för U de Gästebitter hier
Hebbt 1 all dat vernommen?
Hier sett ii mienen Staff
Un nemm mien Hötken aff
Ick soll U seggen dat:
No wek nich mehr watt.
Ick haddet mi noch up’n Stock schrewwen
Dao hew’k hall met de Mau affrewwen.
Dag un Daotum is mie vergeten
De Müse hebbt mi den Kalender upfreten.
Doch nu wIck mi äs besinnen
Dann mögket noch finnen.
N. N. äs Brütigam und N. N. äs Brut
De schickt mit äs Gästebitter ut.
Ick söll to kommende Weeke
Dinstag und Gurtag te rechte Tied
U inlan to öhre Hochtied.
Dao söll 1 alle kommen, klein un groot
Junk un old, so äs 1 dao gaoht.
Dorum la ick in de Vader un de Moder
de Dochter un de Bror
Ok dat klenste Kind,
watt man in de Weige find.
Sowull ok dat ganze Hofgesind.
Makt U daoto fien
Men ok nich all te fien
Brut un Brüm wölln gerne de Fiensten sien.
Wann 1 dann morgens kommt gaon,
Söllt de Diske und Stöhle praot staon.
Met’n Gläsken Branntwien in de Hand
Wär 1 met Verwandten un Naobers bekannt.
Dann gewwt Koffi met’n Klümpken
Dat geww ,n söt Mündken
Daobi ,n Botteram met Schinken
Dao könnt 1 god up drinken.
En Piepken met Tabak
Schmökt jeder nao sienen Geschmack.
Dann geww wie Us up te Föte
un gaoht de Brutlöh in de Möte
Fähnkes un Musik vörup
Kommt de Brutlöh up’n Hof harup
De Öllers van den Brütigam föhrt
Dann de Brut an öhr’nen nien Herd
Wie wünscht dann de Brutlöh Segen
Un nen lank Lewen.
Un met de Tied sodann
Fank dat Merrageten an
Suppe, Flees, Gemös un Schinken
Un ok noch düftig watte drinken
Erpel un Kabbus
Sünt genug int Hus
En Stück van’n Hohn
Dao könnt 1 ok wall met dohn
En Stück van’n halwen Kopp
Dann gao I achter un vörne up.
En Stück van de Schulder
Dann geih’t je länger je duller.
Göse kannk U noch nich verspreken
De mott ick noch de Hälse terbreken
N’ Stück van’n gebraoten Kalf
Is’t nich heel, so is’t doch half
Prumen un Rosinen
Dao sall U de Mul nich nao schrienen
Pudding un Lecken
All’s gewwt derbi
As Proffen ,n Stück Stuten
Dao willt wi de Maoltied met schluten.
Det Näömmerdag to Vespertied
Gewwt Koffi met Botteram nao Aptied
Un Aowens Erpel un Braoden
Dat kann sick jeder smaken laoten.
De jungen Löh väö allen Dingen
De willt gerne danzen un springen
Fief Musikanten un tein Fatt Beer
Dat geww up de Hochtied noch vull Ploseer.
Doch wöll dat Danzen nich met will dohn
Kann ganz gerne hen Katen gaon.
De ollen Wiewer, datt mott’ke noch seggen,
De will ick ganz gerne nen Söten breggen
Dann noch’n Anisken met Seuker
Dat schmäck äs de Deuker
Von morgens bis tot nao Hus hen gaon
Will ick fäö U dat Beste dohn
Ok den twedden Dag, dao staoh’ke for in
Sall wessen, dat nich beter konn sin.
I hewwt mi doch alle wull rächt verstaon
Datt 1 dao nich hall Freydag of Saoterdag
heran kommt gaon.
,N schön Schnäpsken dat mach de Gästebitter ok,
Awer, wenn 1 kenen int Hus hewwet
Bruk 1 kennen te halen.
De Gästebitter is nich sinns te betalen.
Dütt Strüsken an’n Stock
Is Könningsverbott
Men’n Daler Drinkgeld in de Hand
Dao is de Gästebitter met kontant.

Einige Tage vor der Hochzeit brachte der Brautwagen die Aussteuer der Braut. Hoch oben auf dem vollgepackten Wagen prangte ein Schinken, hinterher trottete die angebundene Kuh. Die Fahrt dauerte meist sehr lange, denn überall spannten die Leute Stricke über den Weg und sperrten die Fahrt. Mit einem Gläschen Schnaps musste sich der Fahrer freikaufen. Am Vorabend des Festes wurde der von den Nachbarn gewundene Kranz aufgehängt, während die Mädchen und Frauen die nötigen Vorarbeiten in der Küche verrichteten. Am Hochzeitstag mussten sie auftragen, für die Bewirtung der Gäste mit Getränken hatte der Gästebitter zu sorgen. Bei einer Geburt hatte der Notnachbar die Hebamme zu holen. Die Frau des Notnachbarn hatte sich im Geburtshaus aufzuhalten. Sie hatte dann die anderen Nachbarsfrauen von dem freudigen Ereignis zu benachrichtigen. Am Tauftag fuhr der Notnachbar die Hebamme mit dem Kind und den Paten zur Kirche. Anschließend ging man in eine Gaststätte und trank Kaffee. Ein Schnäpschen, oder auch wohl mehrere, wurden nicht verachtet. Das Schreien des Kindes musste vielfach die Gesellschaft an den Heimweg erinnern. Die Anmeldung des Kindes beim Standesamt war ebenfalls Aufgabe des Notnachbarn. Für den langen Weg nach Wulfen nahm er ein Fläschchen mit, für sich und den Standesbeamten. So konnte es leicht passieren, dass er den Vornamen vergessen hatte, einen falschen Namen oder den alten Hofesnamen angab. Etwa 6 Wochen nach der Taufe war “Mörs-Zech”, eine vergnügte Angelegenheit. Wenn ein Todesfall eintrat, hatten die Nachbarn ihren altüberlieferten Pflichten nachzukommen, Der Notnachbar benachrich-tigte die nächsten Nachbarn, die zum Aufbahren der Leiche zu kommen hatten, Die Leiche wurde im Hause aufgebahrt, denn es gab noch keine Leichenhalle. An drei Abenden beteten die Nachbarn im Trauerhause den Rosenkranz, Mittags vor dem Beerdigungstag kamen auch noch die Leute vom Dorf oder aus der Bauerschaft hinzu. Am Sterbetag schon wurde ausgelost, wer in den verschiedenen Bauerschaften, oder auch Teilbauerschaften, den Tod ansagen und zur Beerdigung einzuladen hatte. Diese mündliche Verkündigung in allen Häusern der Gemeinde nannte man “Totenbeten” Der Notnachbar benachrichtigte den Pastor, den Totengräber, ging zum Standesamt und bestellte beim Küster das Läuten der Totenglocke. Die Leiche wurde mit einem Leiterwagen zum Friedhof gefahren. Wenn der Notnachbar selber kein Gespann hatte, musste er sich ein solches besorgen. Bei Regenwetter, oder im Winter bei Schneeverwehungen oder Glatteis, war die Fahrt aus der Bauerschaft zum Friedhof oft recht beschwerlich. So freuten sie sich auf den warmen Kaffee, der nach der Beerdigung angeboten wurde, zusammen mit Kuchen und mit Zwieback. Nachbarn und Verwandte saßen in großer Runde zusammen, manches Schnäpschen wurde dabei getrunken. Meistens lockerte sich die Stimmung dabei und es konnte leicht eine fröhliche Gesellschaft entstehen, die nur mit Mühe den Heimweg fand.

Text erschienen in: Hölker, Hugo; Hatkömper, Hans und Stachauer, Bernhard: “Lembecker Geschichten”. Verlag: Wietholt. Lembeck, 1984.)

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